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Als ich nun an meinen vierten Ort kam, nahmen mir diese Heimtanten im Lutisbach alles weg. Wie wenn man in ein Gefängnis eingewiesen wird, wo man den Insassen die Gegenstände wegnahm, bevor sie dann die Haftstrafe antraten, mit dem Unterschied, dass ich erst etwas mehr als drei Jahre alt war. Meine geliebte Stoffpuppe "Didi" zusammen mit einer silbrigen Armkette, wo mein Name eingraviert war, ein weisses Röckli mit einer hellblauen Bluse mit Rüschen. Diese Kette und die Stoffpuppe waren ein Geschenk von meinem Grossvater als ich auf die Welt kam, erzählte mir meine Grossmutter viele Jahre später. Die Gegenstände bekam ich zurück, als 1977 die Heimleitung wechselte. Beim Aufräumen des Büros in einem Schrank waren alles Schuhschachteln. Auf jeder Schachtel stand ein Name eines Kindes, das im Heim war. In der Schachtel mit meinem Namen waren diese Gegenstände zusammen mit einer 50er-Banknote und Zeichnungen von mir. Solche Schuhschachteln mit Namen darauf gab es auch im Esszimmer. Alle Süssigkeiten, die ein Kind bekam, wurden darin aufbewahrt. Am Mittwoch und Sonntag durften wir dann aus unseren Schachteln etwas Süsses aussuchen. In den Anfangszeiten im Kinderheim, so erzählte mir einmal ein Ehemaliger, der im Heim war, dass er sich gut an mich erinnern konnte. Ich war jenes Mädchen, das am Esstisch neben ihm sass und grässlich stank, weil ich in die Hosen geschissen hatte. Auch machte ich in ein fremdes Bett als ich klein war, an das mag ich mich sehr gut erinnern. Denn alle Kinder, die noch nicht schulpflichtig waren, mussten jeden Tag nach dem Mittagessen einen Mittagsschlaf machen. Entweder im eigenen Bett oder in einem anderen Zimmer in einem Bett eines anderen Kindes. Mir war immer langweilig und ich konnte am Mittag einfach nicht schlafen, also wollte ich immer aufs WC. Dies wurde mir jedoch verboten, also machte ich ins Bett. Deswegen musste ich danach immer den Mittagsschlaf im Badezimmer auf dem Fussboden mit einer dünnen Schaumstoffmatte und einer dünnen Wolldecke verbringe. Es war kalt und ich fror immer. 

Fortsetzung folgt …

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Nun war ich also seit meiner Geburt schon im Frauenheim Wolfbrunnen Kanton Baselland, im Kinderheim Forsthaus Kanton Zug, bei diesem jungen Ehepaar im Kanton Luzern und im Kanton Bern und bei diesen Pflegeeltern im Kanton Aargau gewesen. Bevor mich meine Vormünderin im Alter von 3 Jahren 10 Monate in das Kinderheim Lutisbach im Kanton Zug hinbrachte, machte sie jedoch eine Anfrage im Kinderheim Sonnhalde in Emmen im Kanton Luzern. Dieses Kinderheim wurde damals von der Heilsarmee geführt. Da dieses Heim keinen Platz vor dem Herbst 1967 hatte, kam ich ins Lutisbach. Im Bericht schrieb meine Vormünderin hinein: Einen anderen Pflegeplatz konnte nicht gefunden werden. Abgesehen davon, halte ich es nicht für vorteilhaft, das Kind erneut in eine Pflegefamilie zu geben. Bei Manuela, die bisher noch nirgends Wurzeln schlagen konnte, zeigten sich bereits kleine Anzeichen innerer Verwahrlosung. Durch die schlechten Erfahrungen mit den beiden letzten Pflegeplätzen wage ich es nicht mehr, für Manuela einen neuen Pflegeplatz zu suchen. Glücklicherweise war im Kinderheim Lutisbach in Oberägeri ein Platz frei. Mich erstaunt es immer wieder, wie sie in ihren Berichten sich alles zurecht gelogen hatte, musste ich doch kaum war ich im Lutisbach angekommen über drei Jahre sehr oft nach Braunwald im Kanton Glarus. Dies in drei andere Kinderheime und eine private Familie. Meine ersten Erinnerungen kurz nachdem ich im Kinderheim Lutisbach war, ist dieser Wandbehang der über meinem Kinderbettchen mit Holzgitter an der Wand hing. Darunter war ein sehr grosses Loch. Ich hatte Angst, dass nachts ein Monster aus diesem Loch kommt. Auch das ich in den ersten Nächten sehr viel weinte und zu meinem Papi wollte. Es war jedoch nicht mein richtiger Vater. Auch sehr gut erinnern kann ich mich, dass ich in diesem Kinderbettchen stand und die Heimtante mir jeden Abend etwas in den Mund gab. Viele Jahre später fand ich heraus, dass sie mir Valium verabreichte. Sie gab dies nicht nur mir auch andere Kinder bekamen Valium und sogar noch andere Medikamente.

Fortsetzung folgt …

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Da waren immer diese Vorschriften und die schlechte Behandlung. Es gab schon einige, die wurden genau gleich wie ich behandelt. Sie hatten den gleichen Status. Eben ein 3 Klasse Kind ein Bastard. Ein Kind, das nicht in dieses System von damals, ins Schema passte. Nichts ist und nichts kann. Ein Kind, mit dem die Erwachsenen machen können, wie es ihnen gerade passte. Jedoch waren auch Kinder im Heim, die gut behandelt wurden. Sie durften fast jedes Wochenende nach Hause. Zu den Eltern oder abwechslungsweise zur Mutter oder zum Vater. Wenn sie retour kamen erzählten sie von Kino, Zoo oder auch Restaurant Besuchen. Von Pommes essen und Spass. Nach den Wochenenden hatten sie auch neue Spielsachen, neue Kleider. Ich dagegen war immer im Heim, konnte nichts erzählen. Nur Samstagabend, da mag ich mich erinnern, gab es Teigwaren, die jemand einmal im Jahr spendete. Als wir dann einen Schwarz weiss Fernseher gespendet bekamen, durften wir mittwochs und samstags gewisse Kindersendungen schauen. Mit sehr strengen Vorgaben und nur wenn man brav war. Der Tagesablauf lief nach Plan. Morgens aufstehen, Morgenessen, Bett und „Ämtli“, das hiess Putzen. Für die kleinen "Rückmik" und die grösseren gingen zur Schule. Wenn man später zur Schule musste (morgens wie mittags) Küchendienst. Nach der Schule Hausaufgaben und wenn die von den Tanten kontrolliert und für gutgeheissen wurde, durfte man spielen gehen. Bei mir war das eher nicht der Fall, ich hatte Mühe mit lernen. Ich wollte auch nie lernen, die Schule war für mich die Hölle. Denn dort ging die schlechte Behandlung von Schülern und Lehrer an mir weiter. Dann das Nachtessen und ins Bett, oft war es noch hell draussen. Am Samstag grosser Putztag im und um das Haus, obwohl es im Kinderheim eine Putzfrau gab. Wenn man fertig war, kam die Heimtante und kontrollierte alles sehr genau. Wenn es nicht sauber war, musste man so lange putzen, bis sie zufrieden war. Wie hatten Glaubenszwang. Vor jedem Essen wurde gebetet. Sonntags mussten wir immer in die Kirche, die kleineren in die Sonntagsschule, die grösseren in den Gottesdienst. Diese Heimtanten waren sehr gläubig.

Ich sagte dem Frömmeln oder auch Heuchelei. Denn sie beteten mit den Händen, mit denen sie uns Kinder schlugen. 

Fortsetzung folgt …

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Ich war noch nicht schulpflichtig, als ich in dieses Kinderheim Lutisbach in Oberägeri kam. In dieser Zeit war ich über drei Jahre oft nicht im Kinderheim. Als ich dann mit sechs Jahren in den Kindergarten hätte gehen müssen, wie viele andere im Heim auch, durften wir dies nicht. Also gab es am Vormittag „Rückmik“, wie sie es nannten. Wir mussten in der Halle im Knabenstock in einem Kreis auf Hocker sitzen und die Tante machte mit uns verschiedene Spiele. Viele Jahre später, als ich beim Renovieren der dortigen Zimmer half, fanden wir unter einer Wand in einem der Kinderzimmer alte Zeitungen, die als Isolation über das Holz geklebt waren. In einem dieser Artikel  schrieben sie darüber, dass die Gemeinde Oberägeri im katholischen Kanton Zug, keine reformierten Kinder vom Kinderheim, im Kindergarten oder der Schule haben wollten. Beim Kindergarten ging dies, der war damals nicht obligatorisch. Die Schule jedoch schon. Daher mussten Sie uns Kinder, als wir dann Schulpflichtig wurden, doch in der Schule aufnehmen. Ich denke jedoch nicht, dass die Religion der einzige Grund war, sondern auch die Herkunft der meisten von uns Kindern in diesem Heim. Für mich, ein Bastard war dies normal, denn ich kannte nichts anderes. Ich wurde an so vieler Orte hingebracht, musste dort bleiben bis sie mich wieder abholten und immer dazwischen war ich dann im Kinderheim, wie es den Erwachsenen gerade so passte. Wenn nicht, sagten sie zu mir irgendwelche Lügen, die jedoch im Kinderheimbericht anders hineingeschrieben wurden. Meine Vormünderin, so weiss ich heute, hatte immer die Finger im Spiel, obwohl sie das meiste in Ihren acht Berichten, die sie alle zwei Jahre über mich schrieben, musste, gar nicht hineinschrieb. Diese Heimtanten machten bei ihren Lügen mit. Kind sein in dieser Zeit als diese Heimtanten im Kinderheim Lutisbach waren, konnte ich nicht. Es war eine Kindheit mit Regeln und Gesetzen, vor allem voller Lügen. Sie machten mir Angst und spielten ihr Psychospielchen. Freizeit oder Privatsphäre gab es nicht. Viele Räume waren abgeschlossen, sogar die Schränke, wo Spielsachen und Bücher darin waren. Die eine Heimtante hatte immer einen riesengrossen Schlüsselbund bei sich. Bei allen anderen Türen, die nicht abgeschlossen waren, fehlte der Schlüssel. Wenn wir spielen oder ein Buch lesen wollten, mussten wir fragen, ob wir es dürfen. Bei den Büchern öffnete sie dann nur jenen Schrank, der für das jeweilige alter des Kindes bestimmt war. Ja sogar, wenn wir mit der Puppenstuben spielen wollten, mussten wir fragen. Die Puppenstube war auf einem hohen Schrank platziert, sodass wir Kinder sie nicht selber herunterholen konnten. Damit spielen durften wir nur sonntags.

Fortsetzung folgt …

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Warum ich über drei Jahre viel nach Braunwald gebracht wurde, verstehe ich bis heute nicht. Mein erster Gedanke war, dass sie mich so billig wie möglich, wenn nicht sogar gratis halten wollten. Mein zweiter Gedanke, sie hatten zu wenig Betten im Kinderheim Lutisbach in Oberägeri. Wollten jedoch mit der Aufnahme von vielen Kindern an uns noch mehr Geld verdienen. Je mehr Kinder, je mehr Geld kam in die Kasse des Lutisbach. Denn das Kinderheim war damals eine Stiftung und wurde privat geführt. Der dritte Gedanke, eine Erinnerung, die mir bis heute geblieben ist. Das Ägerital war bekannt für gesunde Höhenluft und ein Kurort mit sehr vielen Kurhäuser. Sodass in dieser Tuberkulosezeit viele auf Oberägeri und Unterägeri zur Kur und Erholung, wenn sie Tuberkulose hatten, gehen mussten. Es waren jedoch nicht nur Erwachsene, sondern auch viele Kinder, die Tuberkulose bekamen. Was mir in Erinnerung blieb, im Kinderheim waren sehr viele Kinder, darunter einige aus gutem Hause, die für kurze Zeit oder etwas länger ins Kinderheim kamen. Diese guten, braven Kinder mussten ihre Haare nicht abschneiden und durften mehr machen als wir schlechten, bösen Kinder. Uns wurden die Haare kurz geschoren und wir bekamen so einige Strafen ab, obwohl das gute Kind etwas machte, was es nicht machen durfte. Ich gehörte zu den schlechten, bösen Kinder, ein Bastard. Woran ich mich noch erinnern kann, dass ich auf einem Tablet Essen in den 2. Stock wo die Mädchen waren, tragen musste. Es durften über eine gewisse Zeit nur all jene zu den Kindern gehen, die die Tuberkulose schon hatten oder wie ich dagegen geimpft waren, was in meinem Impfausweis steht. Ich wurde als Kleinkind, dagegen geimpft, was zu dieser Zeit nicht normal war. Anhanden der Akten weiss ich heute warum. Meine Vormünderin wollte mich damals hinter dem Rücken meiner Mutter, deren Eltern zur Adoption-Zwangsadoption freigeben. Wegen Platzmangel, also zu wenig Betten brachten mich die Erwachsenen daher schon nach 32 Tagen, die ich in diesem Kinderheim Lutisbach verbrachte, über 3 Jahre von 1967 bis 1970 nach Braunwald. An Wochenenden und oft sogar über mehrere Wochen. Zu einer privaten Familie oder in eines der 3 Kinderheime. Dies, obwohl mich jene Pflegemutter, die ich schon kannte, nach Menziken zurückholen wollte. Dass dies nicht einmal die Vormundschaft von Horw wusste, ist daher, weil meine Vormünderin nie ein Wort über Braunwald in ihre Berichte über mich schrieb, obwohl sie dies ganz sicher wusste.

Verstehen werde ich dies jedoch nie, wie man mit einem Kind, mir so umgehen konnte.

Fortsetzung folgt …